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DIE SÜDOSTSCHWEIZ AM SONNTAG
28. OKTOBER 2012


Unterwegs mit einem 86-jährigen Star

Die Betriebsgruppe 13302 besitzt mit dem Krokodil Ce 6/8 III eine der berühmtesten Lokomotiven der Welt. Die «Südostschweiz» begleitete den 131 Tonnen schweren Star auf einer Fahrt von Rapperswil ins Tösstal.

Von Martin Mühlegg Rapperswil-Jona/Bauma.
Die «Bedienungsvorschrift », ein blaues Büchlein mit Checklisten und Schaltplänen, kennt Walter Enz längst auswendig. Der 64-jährige Lokführer und Instruktor aus Emmenbrücke war nämlich 1976 jener Mann, der das Krokodil mit der Seriennummer 13302 vor dem Hochofen rettete. Seit da ist Enz bei der Betriebsgruppe 13302 verantwortlich für die Technik und die beiden Führerstände des 131 Tonnen schweren und 20 Meter langen Kolosses. Am Vortag haben Enz und ein Kollege drei Stunden aufgewendet, um die rund 60 Schmierbecher aufzufüllen. Wenn einer davon leerläuft, kann dies verheerende Schäden nach sich ziehen. 40 Liter des Schmieröls OMV Gear HAST 220 werden daher stets im Führerstand mitgeführt. «Die erste Umdrehung der Räder ist die heikelste », sagt Enz, «weil das Öl noch nicht im ganzen Lager verteilt ist.» Während den Zwischenhalten wird Enz immer wieder seine Handrücken auf die Radlager legen. «Wenn es auf der Haut brennt, ist es nicht gut.»

Schwerstarbeit am Gotthard


Der 86-jährigen Lokomotive mit der Typenbezeichnung Ce 6/8 III stehen heute mehrere Fahrten durchs Tösstal bevor. Sie wird Stargast sein am Fahrzeugtreffen des Dampfbahn-Vereins Zürcher Oberland. Ihre bewegliche Konstruktion mit zwei niederen Drehgestellen und einem Kasten in der Mitte (Schnauze, Körper, Schwanz) und ihre grüne Farbe haben ihr den Übernamen "Krokodil" verschafft. Sie gehört zu den formschönsten Lokomotiven der Welt und ist bei Eisenbahnfreunden so berühmt wie der Silberpfeil bei den Autofans. Bis in die 1960er Jahre hinein zog sie Güterzüge über den Gotthard. Später wurde sie für Kiestransporte eingesetzt. Nur noch zwei Exemplare dieses Typs sind fahrtüchtig. Im Bahnhof Rapperswil fahren Enz und sein Kollege Heinz Wettstein den Stromabnehmer hoch und schalten die vier Motoren mit einer Leistung von insgesamt 2260 PS ein. Der Hauptschalter ist fast einen halben Meter lang, sein Umlegen erfordert Kraft und Geschick. Alte Sicherungen, Hebel aus Messing und Drehräder aus Weissmetall sind im 86-jährigen Cockpit zu sehen. Die Elektromotoren und Ventilatoren dröhnen, das Bremssystem faucht und das Chassis ruckelt, als die Lokomotive zum Gleis 7 rollt, wo sie drei Personen- und einen Postwagen ankoppeln und Fahrgäste aufnehmen soll. Auf dem Perron stehen zwei Kondukteure in den alten Uniformen mit dem steifen Hut. Sie verkaufen die alten Bahnbillette: Dicke, braun gefärbte Kartons, die etwa dreimal kleiner sind als eine Kreditkarte. Ein junger Mann in mintgrünem Pullover ist auf das Dach des Velounterstandes bei der Hochschule geklettert. Ein anderer steht daneben auf einem Mastfuss, damit er seine Kamera über den Zaun halten kann. Auf dieser Seite haben die Fotografen die Sonne im Rücken und können schönere Aufnahmen machen vom Krokodil. Sie verharren einige Minuten in ihren ungemütlichen Positionen. Dann endlich fährt der neue SOB-Triebwagen auf Gleis 6 ab, der die nostalgische Idylle getrübt hat. «Pufferküsser» oder «Ferrophile» nennen Eingeweihte die überwiegend männlichen Personen, die sich auf die Jagd nach Eisenbahnen aller Art machen. Ähnlich wie die Vogelkundler führen sie Listen und Archive von ihren Begegnungen.
Damits rund läuft:
Walter Enz füllt den Schmierbecher auf.
Los geht's:
Heinz Wettstein und Walter Enz im Führerstand.
Festival:
Hunderte von Fans empfangen das Krokodil in Bauma.
In Position:
Ferrophile Fotografen warten in Bauma.
Nostalgisch:
Kondukteure in alten Uniformen.
Malerei für Ferrophile:
Ein Künstler verkauft seine Werke.

Fotografierende Trophäenjäger


Auf der Fahrt nach Bauma werden immer mehr von ihnen die Bahnstrecke säumen. Einige haben ihre Stative auf steilen Borden oder in sumpfigen Wiesen in Position gebracht. Im Bahnhof von Bauma sind hunderte von Kameras auf das einfahrende Krokodil gerichtet. Die Veranstalter des Fahrzeugtreffens haben für die Trophäenjäger Leckerbissen präpariert. «Parallelausfahrt » nennt Lokführer Enz das Manöver, das nun bevorsteht: Er soll auf gleicher Höhe wie der Dampftriebwagen CZm 1/2 31 aus dem Bahnhof fahren. 200 Meter ausserhalb werden sich die Wege der beiden alten Lokomotiven trennen. Dieses Sujet wollen Dutzende von Fotografen und Filmern haben. Dafür haben sie sich im Wiesendreieck zwischen den beiden Strecken in Position gebracht. Das Fahrzeugtreffen in Bauma findet in diesem Jahr zum letzten Mal statt. Ein Umbau des Bahnhofs steht bevor, künftig wird es hier nur noch zwei oder drei Gleise geben. «Eine Orgie wie heute wird man nicht mehr durchführen können», sagt Martin Gross wehmütig. Die Aufgabe des Präsidenten der Betriebsgruppe 13302 wird auch sonst nicht einfach. Vielerorts dünnen die SBB die Gleise aus und verdichten die Fahrpläne. Gross: «Auf doppelspurigen Trassees können wir hinter einer S-Bahn herschwimmen. Einspurige Strecken ohne Puffergleise können wir kaum mehr befahren.» Auch verschärfte Sicherheitsbestimmungen schränken den Aktionsradius des Oldtimers ein. Weil bis vor wenigen Jahrzehnten viele Bahnen ihre eigenen Lokomotiven bauen liessen, gibt es in der Schweiz hunderte von Modellen in verschiedensten Ausführungen. Immer neue Vereine werden gegründet, die solche Fahrzeuge erhalten wollen. «Wir fischen alle im gleichen Teich», sagt Gross, der bei der Geldbeschaffung auf Sponsoren angewiesen ist. Den gewichtigsten Teil des Jahresbudgets beschafft sich die Betriebsgruppe 13302 mit Extrafahrten für Gesellschaften. Zwischen 6000 und 8000 Franken kostet eine solche Ausfahrt. Damit Geld hereinkommt und ihre Angebote bekannter werden, hat die Betriebsgruppe am Bahnhof von Bauma einen Stand aufgestellt. Kalender, Jasskarten, Bücher, Postkarten und weitere Fanartikel sind im Sortiment.

Viele Oldtimer und Vereine